Münchener Post - Verteidigung von Ex-Chef Braun will Aussetzung des Wirecard-Prozesses

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Verteidigung von Ex-Chef Braun will Aussetzung des Wirecard-Prozesses
Verteidigung von Ex-Chef Braun will Aussetzung des Wirecard-Prozesses / Foto: Christof STACHE - AFP

Verteidigung von Ex-Chef Braun will Aussetzung des Wirecard-Prozesses

Im Prozess um den Wirecard-Skandal hat die Verteidigung des früheren Konzernchefs Markus Braun die Aussetzung des Verfahrens beantragt. Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm sagte am Montag vor dem Landgericht München I, das ganze Verfahren leide an einem "schweren Geburtsfehler", da die Anklage mit falschen Annahmen arbeite. Dierlamm warf der Staatsanwaltschaft unzureichende Ermittlungen vor und warf einem als Kronzeuge geltenden mitangeklagten Ex-Wirecard-Manager gezielte Vertuschung vor.

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Der Verteidiger des früheren Wirecard-Chefs forderte vom Gericht, das Verfahren an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben, damit diese ihre Ermittlungen fortsetzen und dabei mit der gebotenen Gründlichkeit vorgehen könne. Seit der Erhebung der Anklage im März habe die Staatsanwaltschaft noch erhebliche weitere Ermittlungen angestoßen und dazu auch eine Reihe an Rechtshilfeersuchen gestellt, um ihre eigenen Fehler aus den ursprünglichen Ermittlungen noch zu heilen, sagte Dierlamm. Dies sei nach der Strafprozessordnung aber nicht zulässig.

Nach Angaben eines Sprechers des Oberlandesgerichts München ist offen, wann das Gericht über den Antrag entscheidet. Am Montag wurde keine Entscheidung mehr erwartet. Womöglich wird das Gericht aber am nächsten Prozesstag am Mittwoch eine Entscheidung verkünden.

Dierlamm sagte, gegen Braun liege eine Kriminalisierung und Vorverurteilung vor. "Die Vorverurteilung von Herrn Doktor Braun in diesem Verfahren ist ebenso beispiellos wie prägend für dieses Verfahren." Er habe in seiner 30-jährigen Laufbahn noch kein anderes Verfahren erlebt, indem einer seiner Mandanten so vorverurteilt worden sei.

Wie Dierlamm sagte, wird sich Braun vorerst nicht zu den Vorwürfen der Anklage äußern - auch nicht für den Fall, dass eine Aussetzung des Verfahrens abgelehnt wird. Der Verteidiger begründete dies damit, dass die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt des Skandals nur unvollständig aufgeklärt habe und wichtige Akten zu dem Ermittlungskomplex erst sehr kurzfristig - teilweise nur wenige Tage - vor der Hauptverhandlung an die Verteidigung gegeben worden seien. Dies mache eine fundierte Verteidigung unmöglich.

Der Wirecard-Skandal ist einer der größten Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Die Staatsanwaltschaft wirft dem aus Wien stammenden 53-jährigen Braun gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, Marktmanipulation und unrichtige Darstellung vor.

Er soll zusammen mit anderen Wirecard-Managern über Jahre Scheingeschäfte in Milliardenhöhe verbucht und so hohe Kredite erschwindelt haben. Das Unternehmen schaffte es mit seiner angeblich erfolgreichen Geschäftsidee bis in den Deutschen Aktienindex, obwohl die Geschäfte tatsächlich nur Verluste produzierten.

Die Verteidigung von Braun gibt für die Scheingeschäfte allerdings dem flüchtigen früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und dem mitangeklagten Oliver B. die Verantwortung. Verteidiger Dierlamm sagte, keiner der 450 vernommenen Zeugen habe einen Hinweis geben können, dass Braun Kenntnis von den Manipulationen gehabt haben soll.

Hingegen sei der mitangeklagte B. zu keiner Zeit ein Kronzeuge gewesen. "Er ist Haupttäter einer Bande, deren alleiniges Ziel es war, hohe Gelder zu veruntreuen." So habe B. im großen Stil Transaktionen gelöscht, damit diese nicht mehr nachvollzogen werden können. Alle Manipulationen durch B. hätten ausschließlich der Veruntreuung und der Verschleierung gedient.

Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage davon aus, dass das in den Bilanzen ausgewiesene Drittpartnergeschäft von Wirecard gar nicht existierte und so Umsätze in Milliardenhöhe einfach nur erfunden wurden, um den Börsenwert zu erhöhen.

Dierlamm sagte, diese von dem für eine Wirecard-Tochter im Asiengeschäft zuständigen mitangeklagten B. gemachten Angaben seien nachweisbar falsch. Tatsächlich stehe inzwischen fest, dass es Umsätze in Milliardenhöhe bei dem angeblich nicht vorhandenen Drittpartnergeschäft gegeben habe. 750 Millionen Euro davon habe B. an vier "Veruntreuungsgesellschaften" geleitet, die von ihm kontrolliert wurden. Gegenüber der Staatsanwaltschaft habe er diese Zahlungsflüsse verschwiegen.

Die Erklärung der Verteidigung von Braun erfolgte am zweiten Verhandlungstag. Für den Mammutprozess hat das Gericht zunächst 100 Verhandlungstage bis Ende nächsten Jahres angesetzt.

D.Johannsen--MP