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Beratungsstellen verzeichnen starken Anstieg rechter Gewalt im Jahr 2023
Beratungsstellen verzeichnen starken Anstieg rechter Gewalt im Jahr 2023 / Foto: Tobias SCHWARZ - AFP/Archiv

Beratungsstellen verzeichnen starken Anstieg rechter Gewalt im Jahr 2023

Die Opferberatungsstellen in Deutschland haben im vergangenen Jahr eine deutliche Zunahme rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt verzeichnet. Der Verband der Beratungsstellen (VBRG) registrierte für 2023 insgesamt 2589 derartige Angriffe - gut ein Fünftel mehr als im Vorjahr, wie aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresbilanz hervorgeht. In der Statistik sind allerdings nur elf von 16 Bundesländern berücksichtigt; nicht alle Länder stellten laut VBRG entsprechende Zahlen zur Verfügung.

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Die Beratungsstellen zeigten sich besorgt über die Entwicklung. "Der Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im Jahr 2023 hat zu einer dramatischen Ausweitung der Gefahrenzonen für viele Menschen geführt", sagte VBRG-Vorstandsmitglied Judith Porath. "Eine vielerorts unerträgliche Normalisierung von Antisemitismus, Rassismus und extrem rechter Ideologien belastet und verändert den Alltag sehr vieler Betroffener."

Die Beratungseinrichtungen registrieren seit vielen Jahren rund ein Drittel mehr rechte Gewalttaten als die Strafverfolgungsbehörden und die Verfassungsschutzämter - die offizielle Statistik zur politisch motivierten Kriminalität will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstagnachmittag vorstellen. Der VBRG kritisierte für 2023 "erneut eine gravierende Untererfassung rechter Gewalt durch Strafverfolgungsbehörden - auch bei schweren Gewalttaten".

Von den 2589 politisch rechts motivierten Angriffen waren laut Opferberatungsstellen insgesamt 3384 Menschen betroffen. Rassismus sei bei mehr als der Hälfte der Fälle das dominante Tatmotiv gewesen. Bei antisemitisch motivierten Angriffen habe es einen "alarmierenden Anstieg" um ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr gegeben.

In die Jahresstatistik des Verbands flossen Angaben aus den fünf ostdeutschen Bundesländern sowie aus Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ein. Die Entwicklung in den einzelnen Ländern war demnach uneinheitlich, vor allem in Brandenburg und Sachsen-Anhalt sei die rechte Gewalt 2023 deutlich gestiegen.

Gemessen an der Einwohnerzahl wurden die meisten rechten Gewalttaten in Berlin (8,20 pro 100.000 Einwohner), Sachsen-Anhalt (6,6 pro 100.000 Einwohner), Brandenburg und Hamburg (jeweils 5,2 pro 100.000 Einwohner) registriert - die wenigsten in Bayern (0,8 pro 100.000 Einwohner) und Baden-Württemberg (0,5 pro 100.000 Einwohner).

VBRG-Vorstandsmitglied Porath äußerte die Befürchtung, dass die Zahlen weiter stiegen - insbesondere die Landtagswahlen dieses Jahr in drei ostdeutschen Bundesländern machten ihr "große Sorge", betonte sie. "Wir rechnen natürlich damit, dass die Zahlen leider sich weiter erhöhen werden." Sie erwarte, "dass der Anstieg flächendeckend sein wird und sich durch alle Phänomenbereiche ziehen wird".

Der Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, warf der AfD bei der Vorstellung der Jahresstatistik vor, der rechten Gewalt den Boden zu bereiten. "Zur Verrohung der politischen Kultur trägt leider die AfD in Deutschland ganz wesentlich bei - und das nicht nur im Netz, sondern auch auf den Straßen", sagte Wagner.

In manchen Regionen habe die Partei bereits die "kulturelle Hegemonie" errungen, die Zivilgesellschaft werde eingeschüchtert, betonte Wagner. In dieser Atmosphäre würden Rechtsextremisten ermutigt, Gewalttaten zu begehen. "Hier darf eine wehrhafte Demokratie nicht tatenlos zusehen." Der Gedenkstättenleiter forderte Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung auf, ein Verbot der AfD zu prüfen: Seiner Meinung nach spreche viel für ein solches Verbot.

Porath forderte ein entschlosseneres Eintreten von Justiz- und Regierungsseite gegen rechts - und beklagte oftmals schleppende Gerichtsverfahren bei Fällen rechter Gewalt. "Allzu oft fühlen sich die Betroffenen von den Institutionen des Rechtsstaats im Stich gelassen", sagte sie. "Sie erleben eine große Diskrepanz zwischen den Versprechen der Politik und der Realität in den Ermittlungsverfahren."

B.Fuchs--MP