Gewerkschaft GEW hält Lage in Kitas für "kaum noch zu verantworten"
Die Situation in den deutschen Kindertagesstätten ist nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dramatisch. "Die Bedingungen in den Kitas sind kaum noch zu verantworten", heißt es in einem Gastbeitrag des GEW-Vorstandsmitglieds Doreen Siebernik für die "Welt am Sonntag". Die aktuelle Krankheitswelle habe die Einrichtungen "voll erwischt". Laut Berechnungen des Institut der deutschen Wirtschaft in Köln fehlen zugleich weiter hunderttausende Betreuungsplätze für Kleinkinder.
Siebernik berichtete in dem am Samstag veröffentlichten Gastbeitrag, überall im Land herrsche "akuter Personalmangel". Es gebe Häuser "mit einem Krankenstand von mehr als 50 Prozent"; Betreuungszeiten würden "massiv gekürzt oder es müssen ganze Einrichtungen geschlossen werden".
Die aktuelle Krankheitswelle treffe "auf ein insgesamt geschwächtes System", fügte Siebernik hinzu. In den Kitas herrsche generell "eine hohe Personalfluktuation, gepaart mit einer großen Erschöpfung der Beschäftigten, die die Corona-Pandemie verstärkt hat". Der Betreuungsschlüssel lasse "vielfach keine gute pädagogische Arbeit mehr zu. Zu oft geht es nur noch um Verwahrung." In vielen Einrichtungen sei die Situation "regelrecht dramatisch", sie stünden teilweise "vor dem Kollaps".
Es gebe in Deutschland "ein systemisches Problem in der frühen Bildung", urteilte Siebernik. "Überall werden die Auswirkungen des Fachkräftemangels sichtbar, vielerorts sind sie alarmierend." Es müsse endlich "mehr Geld in die Bildung und damit in die Kinder investiert werden", forderte die Gewerkschaftsfunktionärin, die im GEW-Vorstand für Jugendhilfe und Sozialarbeit zuständig ist.
"Erst wenn die Arbeits-, Rahmen- und Einkommensbedingungen stimmen, werden sich noch mehr Menschen für diese tollen Berufe entscheiden", hieß es in dem Gastbeitrag weiter. "Die Bundesrepublik braucht mehr gut ausgebildete Fachkräfte, denn Eltern vertrauen den Erzieherinnen und Erziehern das Wertvollste an, was sie haben - ihre Kinder."
Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) zeigen, dass insbesondere für jüngere Kinder weiter viele Kitaplätze fehlen. Im Frühjahr 2022 habe die Lücke zwischen benötigten und angebotenen Plätzen für Kinder unter drei Jahren rund 266.000 betragen, teilte das Institut am Samstag mit. Die Zahl sei seit 2019 deutlich gesunken, die Lage stelle sich in den einzelnen Bundesländern allerdings sehr unterschiedlich dar.
Grund zur Entwarnung gebe es ohnehin nicht, erklärte der Autor der Untersuchung, Wido Geis-Thöne. "Aufgrund der Corona-Pandemie wurden weniger Betreuungsplätze benötigt. Außerdem suchen seit einigen Monaten viele Menschen aus der Ukraine Schutz vor dem russischen Angriffskrieg - auch Eltern mit ihren Kleinkindern."
Wie sich die Bedarfssituation in den kommenden Jahren entwickeln werde, lasse sich daher nur schwer abschätzen, erklärte Geis-Thöne. Es könne aber dazu kommen, dass sich die Lage wieder verschärfe.
C.Maier--MP