Nach Massenprotest in Georgien: Wahlkommission will Stimmzettel teils neu auszählen
Nach Massenprotesten gegen das offiziell verkündete Wahlergebnis in Georgien soll ein Teil der Stimmen neu ausgezählt werden. In etwa 14 Prozent der Wahllokale, die landesweit zufällig ausgesucht werden sollen, würden die Stimmen erneut ausgezählt, teilte die Wahlkommission am Dienstag mit. Am Vorabend waren zehntausende Menschen in Georgien auf die Straße gegangen, um gegen mutmaßlichen Wahlbetrug zu protestieren. Auch die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili beteiligte sich daran.
Nach der Auszählung fast aller Stimmen hatte die Wahlkommission die Regierungspartei Georgischer Traum mit 53,9 Prozent der Stimmen zur Siegerin erklärt. Das pro-westliche Oppositionsbündnis kam demnach auf knapp 37,7 Prozent. Das Bündnis bezeichnet die offiziellen Ergebnisse als "gefälscht" und beansprucht den Wahlsieg für sich. Es erklärte, dass es nicht in das "unrechtmäßige" Parlament einziehen werde, sondern Neuwahlen fordere.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, dessen Land derzeit den rotierenden EU-Ratsvorsitz innehat, bezeichnete die Wahl bei seinem Besuch in Georgien am Dienstag als "frei und demokratisch". Er hatte der Regierungspartei bereits zu ihrem "überwältigenden Sieg" gratuliert, bevor die Teilergebnisse veröffentlicht worden waren.
Orbans Besuch war nicht mit den EU-Partnern abgesprochen. "Was auch immer Herr Orban während seines Besuchs sagt, er vertritt nicht die Europäische Union", stellte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell klar. Die Außenminister von 13 EU-Ländern, darunter Deutschland, kritisierten Orbans Georgien-Besuch als "verfrüht". Einige der regierungskritischen Demonstrierenden in Tiflis skandierten an Orbans Adresse: "Hau ab!"
An den Protesten gegen das Wahlergebnis beteiligte sich auch Präsidentin Surabischwili. "Eure Stimmen wurden gestohlen, aber wir werden nicht zulassen, dass jemand unsere Zukunft stiehlt", sagte sie. "Ich werde bis zum Ende an Eurer Seite stehen werde, auf unserem Weg nach Europa, wo wir hingehören", fügte sie hinzu.
Es sei nicht ihre Rolle, die Regierung zu beschuldigen, sagte sie später der Nachrichtenagentur AFP. "Aber die Methode ist russisch", fügte sie hinzu. Sie erklärte, dass dieselben Personalausweise genutzt worden seien, um an mehreren Orten zu wählen. Zudem sei Bargeld in der Nähe von Wahlbüros verteilt worden und es habe Probleme bei der elektronischen Wahl gegeben, fügte sie hinzu.
Sollten Surabischwilis Vorwürfe zutreffen, dann ließe sich der Wahlbetrug nicht durch die Neuauszählung eines Teils der Stimmen korrigieren.
Eine Gruppe georgischer Wahlbeobachter hatte am Montag erklärt, Beweise für einen komplexen und groß angelegten Betrug entdeckt zu haben. Sie forderte die Annullierung von mindestens 15 Prozent der abgegebenen Stimmen. "Diese Manipulation fand ausschließlich in ländlichen Gebieten statt, und wir können sagen, dass die Regierungspartei Wahlbetrug begangen hat", erklärte der Datenanalyst Levan Kvirkvelia im Onlinedienst X.
Auch die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), des Europarats, des Europaparlaments und der Nato hatten Zweifel am offiziellen Ergebnis geäußert. Die USA und die Europäische Union sprachen von "Unregelmäßigkeiten".
Unterdessen kündigte das EU-Land Schweden an, seine Unterstützung der georgischen Regierung auszusetzen. "Die Versuche der georgischen Regierung, die Zivilgesellschaft des Landes durch restriktive Gesetze an der Erfüllung ihrer demokratischen Rolle zu hindern, müssen Konsequenzen haben", erklärte der schwedische Minister für Entwicklungszusammenarbeit, Benjamin Dousa.
Diese Entscheidung sei schon vor den Wahlen getroffen worden, fügte Dousa hinzu. Hintergrund sind kürzlich verabschiedete Gesetze, die nach russischem Vorbild die Rechte von nicht-heterosexuellen Menschen einschränken und Nichtregierungsorganisationen verpflichten, sich als "ausländische Agenten" zu deklarieren.
Nachdem die Partei Georgischer Traum nach ihrer Regierungsübernahme im Jahr 2012 zunächst eine liberale, pro-westliche Agenda verfolgt hatte, hat sie in den vergangenen zwei Jahren ihre anti-westliche und anti-liberale Rhetorik und Haltung verschärft. Kritiker werfen ihr vor, die ehemalige Sowjetrepublik wieder an Moskau annähern zu wollen und so eine künftige Mitgliedschaft in der EU zu gefährden.
A.Fischer--MP