Deutschlands Wirtschaft ist trotz Ukraine-Kriegs um 1,9 Prozent gewachsen
Deutschlands Wirtschaft ist im vergangenen Jahr trotz der Folgen des Ukraine-Kriegs deutlich gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte ersten Schätzungen zufolge um 1,9 Prozent zu, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das lag vor allem an den privaten Konsumausgaben - etwa fürs Reisen und Ausgehen nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen. In den letzten drei Monaten des Jahres wuchs das BIP nicht mehr; es schrumpfte aber entgegen vieler Befürchtungen auch nicht.
Die neue Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, Ruth Brand, fasste zusammen: "Trotz der schwierigen Bedingungen konnte sich die deutsche Wirtschaft im Jahr 2022 insgesamt gut behaupten." Zu den Schwierigkeiten zählte der "extreme" Anstieg der Energiepreise, verschärfte Material- und Lieferengpässe, der Fachkräftemangel und auch weiterhin die Corona-Pandemie.
Doch die privaten Konsumausgaben - für Restaurants und Hotels, Freizeit und Unterhaltung - wuchsen um 4,6 Prozent im Vorjahresvergleich und erreichten damit fast wieder Vorkrisenniveau. Sie waren die wichtigste Wachstumsstütze der Wirtschaft. Die Konsumausgaben des Staates erhöhten sich um 1,1 Prozent.
Auch die Investitionen in Ausrüstungen wie Maschinen und Fahrzeuge trugen mit einem Plus von 2,5 Prozent stark zum Wachstum bei. Der Außenhandel nahm ebenfalls zu, Deutschland exportierte preisbereinigt 3,2 Prozent mehr Waren und Dienstleistungen als 2021.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärte: "Wir haben durch entschlossenes Handeln im vergangenen Jahr die Krise beherrschbar gemacht." Die Regierung habe "Gesetzespakete geschnürt, große Geldmengen mobilisiert, um die Wirtschaft zu stützen und die Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten. Die wirtschaftliche Abschwächung über das Winterhalbjahr werden den Daten zufolge milder und kürzer sein als erwartet. "Damit zeigt dieses Land, was es kann."
Ein beträchtlicher Teil des Wachstums sei aus dem ersten Quartal gekommen, also zum großen Teil noch vor der russischen Ukraine-Invasion, erläuterte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Einen weiteren großen Einfluss habe der sogenannte statistische Überhang gehabt: Das im Jahresvergleich gemessene Wachstum falle größer aus, wenn die Wirtschaft im Vorjahresverlauf ein hohes Wachstum hatte, weil dann die Ausgangsbasis schon im Januar gut sei.
Der Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths, erklärte, ohne Energiepreisschock und Lieferengpässe wäre ein doppelt so kräftiger Anstieg des BIP möglich gewesen. Im laufenden Jahr stehe der Wirtschaft zunächst ein "weiterer Kriechgang" bevor. Insbesondere der private Konsum werde schwach sein. Das IfW rechne daher mit einem Anstieg des BIP in diesem Jahr um 0,3 Prozent.
Auch das Ifo-Institut in München erwartet einen schwachen Start 2023. Insgesamt werde die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal wohl geringfügig schrumpfen und im zweiten Quartal stagnieren. "Erst im weiteren Verlauf des Jahres dürfte sich die Konjunktur erholen, weil die Inflationsraten spürbar sinken und die Einkommen kräftig steigen werden." Das Ifo rechnet insgesamt mit einer Stagnation 2023.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben, sieht ebenfalls eine angespannte aktuelle Lage: Hohe Energiepreise, Rekordinflation und weltweit belastete konjunkturelle Aussichten bereiteten vielen Unternehmen Sorgen. Hinzu kämen langfristige Herausforderungen wie Strukturwandel, ökologische Transformation, Demografie und Digitalisierung.
Die deutsche Wirtschaft war 2018 und 2019 nur schwach gewachsen, um 1,0 und 1,1 Prozent. 2020 brach das BIP wegen der Corona-Pandemie dann um 3,7 Prozent ein, 2021 wuchs es wieder um 2,6 Prozent.
C.Maier--MP