Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut bedroht
In Deutschland ist mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene von Armut bedroht. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Donnerstag veröffentlichte Analyse der Bertelsmann-Stiftung. Demnach waren 2021 knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche und weitere rund 1,55 Millionen junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren betroffen. Die Lage habe sich zuletzt nicht gebessert, sondern durch aktuelle Krisen und Preissteigerungen verschärft.
Die Stiftung forderte daher Gegenmaßnahmen von der Bundesregierung. "Kinder- und Jugendarmut bleibt ein ungelöstes Problem in Deutschland", erklärte sie. Die im Koalitionsvertrag versprochene Kindergrundsicherung müsse "schnellstmöglich" beschlossen werden. Zentraler Maßstab müsse sein, dass die Kindergrundsicherung Armut "wirksam vermeidet".
Überdurchschnittlich von Armut betroffen sind nach Angaben der Stiftung junge Menschen in Alleinerziehenden-Familien sowie in Familien mit drei oder mehr Kindern. Die große Betreuungsverantwortung mache es den Eltern in diesen Fällen oftmals unmöglich, voll erwerbstätig zu sein. Viele von ihnen seien auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen.
Laut der Studie stieg die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Hartz-IV-Haushalten leben, in Deutschland zuletzt zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder an. Dies sei allerdings auch auf die Fluchtbewegungen wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zurückzuführen.
Ein oftmals unterschätztes Armutsproblem gibt es nach Einschätzung der Bertelsmann-Experten auch in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren. Hier sei das Armutsrisiko mit 25,5 Prozent höher als in jeder anderen Altersgruppe. Frauen sind demnach zudem gefährdeter als Männer, in Ostdeutschland ist das Risiko größer als im Westen.
Die geplante Einführung der Kindergrundsicherung müsse "die Verteilung mit der Gießkanne beenden und gezielt denjenigen helfen, die besonders darauf angewiesen sind", forderte Bertelsmann-Bildungsexpertin Anette Stein. Sie müsse sich "an den tatsächlichen Bedarfen junger Menschen für gutes Aufwachsen, Bildung und Teilhabe" orientieren. Als "unerlässlich" bezeichnete die Bertelsmann-Stiftung zudem eine Reform der Ausbildungsförderung Bafög sowie die Einführung einer Ausbildungsgarantie.
In der geplanten Kindergrundsicherung sollen nach dem Willen der Ampel-Koalition finanzielle Unterstützungsleistungen gebündelt werden. Dazu gehören das Kindergeld, Sozialhilfezahlungen für Kinder, der Kinderzuschlag sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepakets. Ziel ist es, mehr Familien zu erreichen und Kinderarmut zu bekämpfen. Erstmals ausgezahlt werden soll die Kindergrundsicherung 2025.
"Wir brauchen dringend einen Neustart im Kampf gegen Kinderarmut", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Der VdK rief die Ampel-Parteien auf, bei den Verhandlungen über die Kindergrundsicherung "im Sinne der Kinder mutig zu sein".
"Die heute veröffentlichten Zahlen zeigen erneut den dringenden Handlungsbedarf in der sozialstaatlichen Absicherung von jungen Menschen", erklärte auch der Präsident der Arbeiterwohlfahrt, Michael Groß. Er mahnte zudem eine sozial gerechtere Gestaltung familienpolitischer Leistungen an, von denen bislang häufig Familien mit hohen Einkommen am stärksten profitierten.
Auf mehr kostenlose Ganztags-Kinderbetreuung als Instrument im Kampf gegen Kinderarmut in Deutschland drängte der Sozialverband Deutschland (SoVD). Wenn Alleinerziehende sonst nur Teilzeit arbeiten könnten, "dann ist Kinderarmut vorprogrammiert", sagte die Vorsitzende Michaela Engelmeier der Funke Mediengruppe.
Versöhnliche Töne im regierungsinternen Ringen um die Kindergrundsicherung kamen aus der FDP. Deren Einführung "hat für die FDP-Fraktion eine hohe Priorität", versicherte der FDP-Familienpolitiker Matthias Seestern-Pauly in der "Augsburger Allgemeinen". Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte nach Vorstellung des Konzepts von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) für die Kindergrundsicherung zuvor Bedenken hinsichtlich der Finanzierbarkeit geäußert.
A.Roth--MP