Stahlindustrie am Scheideweg: Sorge um Standort Deutschland und Arbeitsplätze
Anlässlich des Nationalen Stahlgipfels in Duisburg sind erneut Befürchtungen vor einem schleichenden Niedergang der Branche in Deutschland und einem weitreichenden Arbeitsplatzabbau laut geworden. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) warnte mit Blick auf die Vorgänge beim Industriekonzern Thyssenkrupp vor einem Verschwinden der Stahlindustrie in Deutschland. Die Organisation Germanwatch forderte "verlässliche Zusagen aus der Politik".
Zum Nationalen Stahlgipfel versammelten sich am Montag in Duisburg Vertreter aus Politik und Wirtschaft sowie von Gewerkschaften, um die Zukunft der Stahlindustrie angesichts der großen Herausforderungen für die Branche auf dem Weg zu einer klimaneutralen Produktion zu erörtern. Nach Abschluss der Veranstaltung war die Übergabe eines Nationalen Aktionsplans Stahl an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geplant.
Eingeladen zu dem Gipfel hatte Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), gemeinsam mit der Wirtschaftsvereinigung Stahl, der IG Metall und den übrigen Ländern der sogenannten Stahlallianz, zu der elf Bundesländer mit Stahlstandorten zählen, darunter neben Nordrhein-Westfalen auch das Saarland.
Der Chef der SHS-Stahl-Holding-Saar, Stefan Rauber, warf der Bundesregierung am Montag vor, die Industrie hängen zu lassen. "Es genüge nicht, Milliarden Staatssubventionen für Stahlwerke auszugeben", sagte er dem Wirtschaftsmagazin "Capital". Die energieintensive Industrie insgesamt brauche einen niedrigen und international wettbewerbsfähigen Industriestrompreis, sonst "verlieren wir Wettbewerbsfähigkeit und riskieren Tausende von Arbeitsplätzen".
Zuvor hatte die aus Duisburg stammende Bundestagspräsidentin Bas im WDR-Fernsehen ihre Sorge vor einem Jobabbau in der Branche zum Ausdruck gebracht und vor allem den Streit rund um die Stahlsparte des Industriekonzerns Thyssenkrupp kritisiert. Wegen der Pläne von Konzern-Chef Miguel López, dem Kritiker vorwerfen, in den vergangenen Wochen eine "beispiellose Kampagne" gegen den Vorstand der Stahltochter betrieben zu haben, stehe "komplett der Stahlstandort Deutschland in Frage", sagte Bas. Wenn das so umgesetzt werde, "dann wird es bald keinen Stahl mehr in Deutschland geben".
Bas warnte vor einer Schließung mehrerer Stahlwerke mit 10.000 Arbeitsplätzen. Im Raum stehe eine deutliche Reduzierung der Stahlproduktion in Deutschland, weil die Preise auf dem Weltmarkt deutlich unterboten werden. Bas befürchtet insbesondere, dass bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM), einer Kooperation von Thyssenkrupp Steel, Salzgitter und Vallourec, tausende Arbeitsplätze in Gefahr sind.
"Die Beschäftigten erwarten eine klare Positionierung sowohl von der Landesregierung als auch von der Bundesregierung, wie sie die Transformation in Richtung grünem Stahl auch bewältigen will", forderte Bas im WDR. Beim langwierigen Umbau von Kohle hin zu Wasserstoff als Energieträger sei weitere staatliche Unterstützung nötig - auch über die bereits zugesagten zwei Milliarden Euro hinaus für eine Wasserstoffanlage in Duisburg, damit Stahl klimaneutral hergestellt werden kann.
Die Umweltorganisation Germanwatch erklärte, eine "gut gemachte Transformation zur Klimaneutralität" könne in der jetzigen Situation "eine echte Chance für die Branche" darstellen. Um diese zu nutzen, müssten jedoch "Politik und Industrie entschlossen an einem Strang ziehen: mit einem klaren Fahrplan und sicheren Rahmenbedingungen für die Transformation, damit Angebot und Nachfrage nach grünem Stahl in eine Aufwärtsspirale kommen".
Auch die Unternehmen stünden allerdings in der Verantwortung: Die Stahlkonzerne müssten "schnellstmöglich Transformationspläne entwickeln und dabei die Beschäftigten einbeziehen", forderte der politische Geschäftsführer von Germanwatch, Christoph Bals.
Der Generalsekretär des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), Christian Leye, mahnte unterdessen, Deutschland könne es sich "nicht leisten, diese strategisch wichtige Industrie abwandern zu lassen". Die Umstellung auf eine klimaneutrale Stahlproduktion werde ohne staatliche Beteiligung nicht gelingen, fügte der Bundestagsabgeordnete aus Duisburg hinzu. Das BSW fordere deshalb "die Gründung einer öffentlich-rechtlichen Industriestiftung, um eine aktive Industriepolitik zu ermöglichen".
D.Johannsen--MP