Länder fordern weitere Milliardenhilfen für öffentlichen Nahverkehr
Angesichts explodierender Energiekosten und anhaltender Corona-Folgen fordern die Länder vom Bund zusätzliche temporäre und dauerhafte Hilfen in Milliardenhöhe für den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr. Für dieses und das kommende Jahr seien jeweils weitere 3,15 Milliarden Euro erforderlich und danach dauerhaft 1,5 Milliarden Euro, erklärten deren Verkehrsministerinnen und -minister am Freitag. Sonst drohten "massive Ticketpreiserhöhungen" und "Einstellungen von Verkehrsleistungen".
Die Verkehrsministerkonferenz forderte von der Bundesregierung außerdem erneut "zeitnah einen tragfähigen und nachhaltigen Vorschlag zur Nachfolge des Neun-Euro-Tickets". Der Bund müsse sich hier "zu seiner vollständigen Finanzierungsverantwortung" bekennen und sie auch dauerhaft absichern.
In Deutschland wird schon seit Monaten intensiv über die Finanzierung des Nahverkehrs und dessen Ausbau diskutiert. Dieser ist prinzipiell Sache der Bundesländer, der Bund beteiligt sich allerdings an den Kosten über die sogenannten Regionalisierungsmittel. Sie belaufen sich für dieses Jahr auf rund zehn Milliarden Euro.
Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung wurde eine Steigerung der Mittel in Aussicht gestellt, über die Höhe wird gerungen. Die Länder drängen seit längerem auf eine "strukturelle Erhöhung" um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Forderung bekräftigten die Verkehrsminister am Freitag. Zusätzlich forderte sie für 2022 und 2023 weitere 1,65 Milliarden Euro zur Kompensation der steigenden Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs.
Ohne einen derartigen "Rettungsschirm" seien angesichts der explodierenden Betriebskosten und weiterhin niedriger Fahrgastzahlen in Folge der Pandemie massive Einschnitte im Nahverkehr nicht mehr zu vermeiden, warnten die Länder. Lediglich "eine kurzfristige Zahlung des Bundes" könne "wirtschaftliche Notlagen bei den Verkehrsunternehmen" sowie "massive Ticketpreiserhöhungen und Einstellungen von Verkehrsleistungen" vermeiden.
Zusätzlich befeuert wird die Debatte durch das Ringen um eine Nachfolgeregelung für das beliebte Neun-Euro-Tickets, das Ende August ausläuft. Bund und Länder wollen das Angebot generell in mehr oder weniger veränderter Form fortsetzen, streiten aber über die Kosten. Die Länder seien bereit, mit dem Bund im Rahmen einer Verständigung über Gesamtfinanzierung und Modernisierung des Nahverkehrs über "Optionen" zu verhandeln, erklärte die Verkehrsministerkonferenz. Zugleich betonten sie, sie sehe den Bund am Zug.
Das Neun-Euro-Ticket ist eine Entlastungsmaßnahme des Bundes wegen der hohen Energiepreise für die Monate Juni bis August. Es ermöglicht für monatlich neun Euro bundesweit Fahrten im Nah- und Regionalverkehr. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekannte sich am Donnerstagabend bei einem Bürgerdialog in Magdeburg im Grundsatz zu einer Nachfolgeregelung. Der Preis sei jedoch so günstig, "dass jeder ahnt, dass wir das nicht auf Dauer durchhalten können", sagte er.
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, sagte der "Augsburger Allgemeinen", sein Verband werbe für ein möglichst bundeseinheitliches Ticket, etwa als Jahreskarte für 365 Euro. Nötig seien außerdem Verkehrsinvestitionen.
Für Samstag plant die Initiative "Neun-Euro-Ticket weiterfahren" einen bundesweiten Demonstrations- und Aktionstag, auf dem sie für eine "nahtlose Anschlusslösung" für das Neun-Euro-Tickets protestieren will. Die Fortsetzung sei nicht zuletzt wegen steigender Energiepreise und Inflation wichtiger denn je, erklärte die Initiative. In ihr haben sich Vertreterinnen und Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Organisationen zusammengetan - etwa von Parteien, Kampagnen- und Umweltschutzvereinigungen sowie Gewerkschaften.
In Berlin will die SPD laut Medienberichten bis Jahresende über den landeseigenen Haushalt selbst eine Nachfolgeregelung für das Neun-Euro-Ticket organisieren. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) habe ihren Koalitionspartnern Grünen und Linken einen Vorschlag dazu unterbreitet, berichteten Berliner Medien übereinstimmend. Der Fahrschein würde dann nur in Berlin gelten.
B.Fuchs--MP