Wirtschaftsweise: 2023 drohen Rezession und hohe Inflation von 7,4 Prozent
Deutschland steht vor einer Rezession und einer anhaltend hohen Inflation: Die Wirtschaftsweisen rechnen 2023 mit einem Abschwung um 0,2 Prozent und einem Preisanstieg um 7,4 Prozent. Zur Finanzierung von Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger schlug der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einen zeitlich befristeten höheren Spitzensteuersatz vor.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres sei die deutsche Wirtschaft noch gewachsen, im zweiten habe sie aber stagniert, sagte die Ökonomin Monika Schnitzer. Die hohen Preise für Energie und Lebensmittel hätten die Kaufkraft geschwächt und den privaten Konsum gedämpft. Zugleich lastet die Energiekrise schwer auf der Industrieproduktion und die Nachfrage nach deutschen Exporten geht zurück.
Aufgrund dieses "massiv verschlechterten Ausblicks" senkte der Sachverständigenrat seine Prognose. Für dieses Jahr werde noch ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent erzielt, im kommenden Jahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dann um 0,2 Prozent sinken. Exporte und Investitionen dürften demnach aber im kommenden Jahr wieder zunehmen, auch die Lieferengpässe dürften "langsam nachlassen".
Mit ihrer Prognose wich die Expertenrunde leicht von den Erwartungen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sowie der Bundesregierung ab. Sie hatten für dieses Jahr ein BIP-Wachstum von 1,4 Prozent prognostiziert und gehen für 2023 von einem deutlicheren Abschwung um 0,4 Prozent aus.
Wegen der Energiekrise rechnet der Sachverständigenrat mit einer anhaltend hohen Inflation - auch weil die hohen Produktionskosten nun zunehmend an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben würden. Die Expertinnen und Experten schätzen, dass die Inflation nach 8,0 Prozent in diesem Jahr im kommenden Jahr bei 7,4 Prozent liegen wird - die geplante Gaspreisbremse ist dabei mit eingerechnet.
Angesichts der hohen Inflation müsse die Europäische Zentralbank (EZB) "weiterhin entschlossen handeln", forderte Ulrike Malmendier, weiteres Mitglied des fünfköpfigen Sachverständigenrats. "Die Kunst dabei ist, die Zinsen mit Augenmaß zu erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen, ohne dass die Konjunktur übermäßig einbricht." Die EZB kann über die Leitzinsen die Inflation beeinflussen, zu hohe Zinsen bremsen aber das Wachstum.
Zu den Entlastungspaketen der Regierung erklärte der Sachverständigenrat, derlei Maßnahmen seien "grundsätzlich gerechtfertigt" und: "Wir können uns die Kredite leisten." Jedoch seien viele der beschlossenen oder geplanten Maßnahmen "nicht zielgenau", weil Sparanreize fehlten und auch reiche Haushalte profitierten, "die die Belastungen selbst tragen könnten".
Das Gremium schlug daher vor, einkommensstarke Haushalte "streng befristet über einen Energie-Solidaritätszuschlag oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes" an der Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen zu beteiligen. Das Ganze soll nur für die Dauer der Entlastungsmaßnahmen gelten - konkrete Zahlen nannten die Experten nicht.
Die Wirtschaftsweisen plädierten zudem dafür, den geplanten und grundsätzlich richtigen Abbau der kalten Progression um ein Jahr zu verschieben. Nicht zuletzt wäre denkbar, bei der Schuldenbremse im kommenden Jahr ein weiteres Mal von der "Ausnahmeregelung" Gebrauch zu machen, regte Ratsmitglied Achim Truger an.
Aus der Wirtschaft kam Kritik an den Plänen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der "sehr viel skeptischer" auf die Konjunktur blickt als der Sachverständigenrat, hält den vorgeschlagenen höheren Spitzensteuersatz für einen "Schlag ins Kontor" für Millionen mittelständischer Unternehmen. Viele kämpften täglich um ihre Zukunftsfähigkeit.
Der Außenhandelsverband BGA sprach ebenfalls von einem "völlig falschen Signal". Der Ausgleich der kalten Progression sei "richtig und auch lange überfällig". Es fehle Geld für Investitionen.
Zustimmung kam hingegen von Verdi. "Die Lasten der Krise müssen jetzt sozial gerecht verteilt werden", erklärte Gewerkschaftschef Frank Werneke. "Deswegen ist eine umverteilende Steuerpolitik überfällig."
I.Frank--MP